letzte Meter - Christian Flierl
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letzte Meter

 

 

Der Übergang vom Land ins Meer ist naturgemäss in Bewegung. Doch nicht überall drängt sich Architektur so weit zum Wasser vor wie in Ligurien. Restaurants schmiegen sich an abschüssige Felswände, Terrassen sind auf die offene Perspektive hin ausgerichtet, auch die Autobahn schlängelt sich dem Lido entlang. Dabei mässigen Wellenbrecher die Wucht von Stürmen, Netze schützen Verkehrsteilnehmer vor porösem Gestein. Alles Bauen entlang der Küste verlangt nach Improvisation und fortlaufenden Ausbesserungen. Sie trotzen der Erosion nur auf Zeit, sodass Stein, Beton oder Armaturen immer neue Schichten bilden und die einst markante Grenze zwischen Natur und Kultur brüchig geworden ist.

Christian Flierl entdeckte die ligurische Küste vor Jahren in den Ferien. Später besuchte der Fotograf gezielt einzelne Küstenabschnitte, um ihren Wandel zu beobachten. So entstand eine fotografische Langzeitstudie. Letzte Meter reiht sich ein in andere Bildfolgen, mit denen Flierl mit Vorliebe die Ränder der allgemeinen Aufmerksamkeit abtastet. Er ist dem Nebel nachgegangen – jener hellen Trübung der Luft, die den Horizont auflöst und den Orientierungssinn vom Sehen aufs Hören verlegt. Bleibende Spuren von Zeit interessieren ihn – die Bräunung von Holz nach Sonnenbestrahlung, ein langsamer Moosbefall auf organischem Grund, die Einritzung geheimnisvoller Zeichen, die in der Rinde von Bäumen nach und nach vernarbt. Flierls Auge hat im Siedlungsraster von Soweto den gesellschaftlichen Aufstieg der Mittelschicht protokolliert und in den Agglomerationen der Nordwestschweiz die befremdlich massive Baukultur der 1970er- und 1980er-Jahre zu seinem Gegenstand gemacht. Immer wieder gibt die Stille seiner Bilder Zeit, uns auf die Eigenarten des Wirklichen einzulassen. Einfach so, höchstens fragend und ohne Bewertung überlässt uns Christian Flierl seiner Phänomenologie von Gegenwart – und den Geheimnissen, die unsere Zivilisation auch der Landschaft einschreibt.

Christian Flierl wählt seine Themen, ohne sich in der Motivwahl dogmatisch Schranken zu setzen. Letzte Meter können Flusslauf sein oder Seestück, Kiesel oder gebaute Stadt. Der langen Bildtradition, die im Meer Abenteuer,  Fischerboote oder Romanzen ortet, entgegnet er den Blick aufs Ufer und zeigt, wie der Zugang zum Wasser die Architektur herausfordert. Als Konstante erweist sich das Unfertige, ein ebenso rascher wie behäbiger Wandel. Wenn Christian Flierl eine Terrasse kadriert oder ein letztes Stück tatsächlich geologischen Gesteins unter einem Dach aus Beton, wird er vor allem zum Dokumentarist einer langen Beziehung zwischen Mensch und Meer. Diese erzählt gleichzeitig von Risiken, vom zunehmenden Druck der Gezeiten wie von der Sehnsucht nach offenem Horizont.

Isabel Zürcher, September 2023

 

 

 

A U S S T E L L U N G E N

 

“Den Verlauf von menschengemachten Formen zum Meer fotografiert Flierl oft durch dunkle Durchgänge und Bögen hindurch. Dadurch erscheint das dahinterliegende Meer als Sehnsuchtsort voller Licht.”

Elodie Kolb, Basellandschaftliche Zeitung

 

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“letzte Meter”, Gallerie Monika Wertheimer, 2023

 

 

Der letzte Meter ist immer auch der erste. Fertig das Land,
das Meer beginnt; fertig der Tag, die Nacht kündigt sich an, fertig die Wurst … . Schön, wenn Fotografie derart philosophischen Fragen auszulösen vermag.

Simon Baur, Basler Zeitung